Ethikcodex

Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS)

Präambel

Die Erarbeitung und Verbreitung soziologischen Wissens sind soziale Prozesse, die in jedem Stadium ethische Erwägungen und Entscheidungen erfordern. Der ethischen Implikationen soziologischer Wissensproduktion, -verwendung und -weitergabe sollten sich Soziologinnen und Soziologen stets bewusst sein.

Der Ethik-Kodex lebt von einer ständigen Reflexion und Anwendung durch die Angehörigen der soziologischen Profession. Der Kodex formuliert einen Konsens über ethisches Handeln innerhalb der professionellen und organisierten Soziologie in Deutschland. Er benennt die Grundlagen, auf denen die Arbeit der Ethik-Kommission beruht.

Dieser Kodex soll dazu dienen, Soziologinnen und Soziologen für ethische Probleme ihrer Arbeit zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, ihr eigenes berufliches Handeln kritisch zu prüfen. Insbesondere die in der Lehre tätigen Soziologinnen und Soziologen sind aufgefordert, dem wissenschaftlichen Nachwuchs und den Studierenden die Elemente berufsethischen Handelns zu vermitteln und sie zu einer entsprechenden Praxis anzuhalten.

Zugleich schützt dieser Ethik-Kodex vor Anforderungen und Erwartungen, die in verschiedenen Situationen von Probandinnen und Probanden, Studierenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Kolleginnen und Kollegen sowie privaten und öffentlichen Auftraggeberinnen und Auftraggebern an soziologische Forschung und Praxis gestellt werden und in ethische Konflikte führen könnten.

Soziologen und Soziologinnen können sich bei Unklarheit an die Ethik-Kommission wenden. Personen, die unter Berufung auf diesen Kodex Beanstandungen bei der Ethik-Kommission vorbringen, dürfen wegen der Ausübung dieses Rechts keine Benachteiligungen erfahren.

Um die in der Präambel genannten Ziele zu erreichen, bestätigen und unterstützen die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) den folgenden Ethik-Kodex.

I. Soziologische Praxis

§ 1 Integrität und Objektivität

  1. Soziologinnen und Soziologen streben in Ausübung ihres Berufes nach wissenschaftlicher Integrität und Objektivität. Sie sind den bestmöglichen Standards in Forschung, Lehre und sonstiger beruflicher Praxis verpflichtet. Geben sie fachspezifische Urteile ab, sollen sie ihr Arbeitsgebiet, ihren Wissensstand, ihre Fachkenntnis, ihre Methoden und ihre Erfahrungen eindeutig und angemessen darlegen.
  2. Bei der Präsentation oder Publikation soziologischer Erkenntnisse werden die Resultate ohne verfälschende Auslassung von wichtigen Ergebnissen dargestellt. Einzelheiten der Theorien, Methoden und Forschungsdesigns, die für die Einschätzung der Forschungsergebnisse und der Grenzen ihrer Gültigkeit wichtig sind, werden nach bestem Wissen mitgeteilt.
  3. Soziologinnen und Soziologen sollen in ihren Publikationen sämtliche Finanzierungsquellen ihrer Forschungen benennen. Sie gewährleisten, dass ihre Befunde nicht durch spezifische Interessen der Auftraggeberinnen und Auftraggeber verzerrt sind.
  4. Soziologinnen und Soziologen machen ihre Forschungsergebnisse nach Abschluss der Analysen in geeigneter Weise öffentlich zugänglich. Dies gilt nicht in Fällen, in denen das Recht auf den Schutz vertraulicher Aufzeichnungen verletzt werden würde. In Fällen, in denen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit oder der Anspruch der Auftraggeberin bzw. des Auftraggebers das Recht zur Veröffentlichung eingrenzen, bemühen sich Soziologinnen und Soziologen darum, den Anspruch auf Veröffentlichung möglichst weitgehend aufrechtzuerhalten.
  5. Soziologinnen und Soziologen dürfen keine Zuwendungen, Verträge oder Forschungsaufträge akzeptieren, die die in diesem Kodex festgehaltenen Prinzipien verletzen.
  6. Sind Soziologinnen und Soziologen, auch als Studierende, an einem gemeinsamen Projekt beteiligt, werden zu Beginn des Vorhabens bezüglich der Aufgabenverteilung, der Vergütung, des Datenzugangs, der Urheberrechte sowie anderer Rechte und Verantwortlichkeiten Vereinbarungen getroffen, die von allen Beteiligten akzeptiert werden. Diese können im Fortgang des Projekts aufgrund veränderter Bedingungen einvernehmlich korrigiert werden.
  7. In ihrer Rolle als Forschende, Lehrende und in der Praxis Tätige tragen Soziologinnen und Soziologen soziale Verantwortung. Ihre Empfehlungen, Entscheidungen und Aussagen können das Leben ihrer Mitmenschen beeinflussen. Sie sollen sich der Situation und immanenten Zwänge bewusst sein, die zu einem Missbrauch ihres Einflusses führen könnten. Soziologinnen und Soziologen sollen geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ein solcher Missbrauch und daraus resultierend nachteilige Auswirkungen auf Auftraggeberinnen und Auftraggeber, Forschungsteilnehmerinnen und Forschungsteilnehmer, Kolleginnen und Kollegen, Studierende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermieden werden.

§ 2 Rechte der Probandinnen und Probanden

  1. Das Befolgen von Regeln der wissenschaftlichen Methode kann ungünstige Konsequenzen oder spezielle Risiken für Individuen oder Gruppen nach sich ziehen. Darüber hinaus kann das Forschungshandeln den zukünftigen Zugang zu einer Untersuchungspopulation für den gesamten Berufsstand oder verwandte Berufsgruppen einschränken oder verschließen. Beides haben Soziologinnen und Soziologen zu antizipieren, um negative Auswirkungen zu vermeiden.
  2. In der soziologischen Forschung sind entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen die Persönlichkeitsrechte der in sozialwissenschaftliche Untersuchungen einbezogenen Personen zu respektieren.
  3. Generell gilt für die Beteiligung an sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, dass diese freiwillig ist und auf der Grundlage einer möglichst ausführlichen Information über Ziele und Methoden des entsprechenden Forschungsvorhabens erfolgt. Nicht immer kann das Prinzip der informierten Einwilligung in die Praxis umgesetzt werden, z.B. wenn durch eine umfassende Vorabinformation die Forschungsergebnisse in nicht vertretbarer Weise verzerrt würden. In solchen Fällen muss versucht werden, andere Möglichkeiten der informierten Einwilligung zu nutzen.
  4. Besondere Anstrengungen zur Gewährleistung einer angemessenen Information sind erforderlich, wenn die in die Untersuchung einbezogenen Individuen über eine geringe Bildung verfügen, einen niedrigen Sozialstatus haben, Minoritäten oder gesellschaftlich marginalisierten Bevölkerungsgruppen angehören.
  5. Personen, die in Untersuchungen als Beobachtete oder Befragte oder in anderer Weise, z.B. im Zusammenhang mit der Auswertung persönlicher Dokumente, einbezogen werden, dürfen durch die Forschung keinen Nachteilen oder Gefahren ausgesetzt werden. Die Betroffenen sind über alle Risiken aufzuklären, die das Maß dessen überschreiten, was im Alltag üblich ist. Die Anonymität der befragten oder untersuchten Personen ist zu wahren.
  6. Im Rahmen des Möglichen sollen Soziologinnen und Soziologen potentielle Vertrauensverletzungen voraussehen. Verfahren, die eine Identifizierung der Untersuchten ausschließen, sollen in allen geeigneten Fällen genutzt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist den durch die elektronische Datenverarbeitung gegebenen Möglichkeiten des Zugangs zu Daten zu widmen. Auch hier sind sorgfältige Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen erforderlich.
  7. Von untersuchten Personen erlangte vertrauliche Informationen müssen entsprechend behandelt werden; diese Verpflichtung gilt für alle Mitglieder der Forschungsgruppe (auch Interviewerinnen und Interviewer, Codiererinnen und Codierer, Schreibkräfte etc.), die über einen Datenzugriff verfügen. Es liegt in der Verantwortung der Projektleiterinnen und Projektleiter, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierüber zu informieren und den Zugang zu vertraulichem Material zu kontrollieren.
  8. Soziologinnen und Soziologen sollen unter Verweis auf entsprechende Regelungen für andere Professionen der Schweigepflicht unterliegen und für sich das Recht auf Zeugnisverweigerung beanspruchen, wenn zu befürchten steht, dass auf der Basis der im Rahmen soziologischer Forschung und Berufsausübung gewonnenen Informationen die Informanten und Informantinnen irgendwelche – insbesondere strafrechtliche – Sanktionen zu gewärtigen haben.

II. Publikationen

  1. Soziologinnen und Soziologen führen in ihren Publikationen sämtliche Personen namentlich auf, die maßgeblich zu ihrer Forschung und zu ihren Publikationen beigetragen haben. Die Ansprüche auf Autorenschaft und die Reihenfolge bei der Nennung der Autorinnen und Autoren sollen deren Beteiligung am Forschungsprozess und an der Veröffentlichung Rechnung tragen.
  2. Daten und Materialien, die wörtlich oder sinngemäß von einer veröffentlichten oder unveröffentlichten Arbeit anderer übernommen wurden, müssen kenntlich gemacht und ihren Urheberinnen und Urhebern zugeschrieben werden. Verweise auf Gedanken, die in Arbeiten anderer entwickelt wurden, dürfen nicht wissentlich unterlassen werden.
  3. In Zeitschriften sollte der kritische Austausch zwischen den Angehörigen des Faches gefördert werden. In diesem Zusammenhang sollten Regeln und Leitsätze publiziert werden, die die Möglichkeiten zur Stellungnahme und Erwiderung spezifizieren.
  4. Herausgeberinnen und Herausgeber sowie Redaktionen von Zeitschriften sind zu einer fairen Beurteilung eingereichter Beiträge ohne persönliche oder ideologische Vorurteile in angemessener Zeit verpflichtet. Sie informieren umgehend über Entscheidungen zu eingereichten Manuskripten.
  5. Eine Veröffentlichungszusage ist bindend. Wurde die Publikation zugesichert, soll sie sobald wie möglich erfolgen.

III. Begutachtung

  1. Werden Soziologinnen und Soziologen um Einschätzungen von Personen, Manuskripten, Forschungsanträgen oder anderen Arbeiten gebeten, so sind solche Bitten um Begutachtung im Fall von Interessenkonflikten abzulehnen.
  2. Zu begutachtende Arbeiten sollen vollständig, sorgfältig, vertraulich und in einem angemessenen Zeitraum fair beurteilt werden.
  3. Begutachtungen, die im Zusammenhang mit Personalentscheidungen stehen, werden von allen Beteiligten vertraulich behandelt. An sie müssen unter den Gesichtspunkten der Integrität, der Objektivität und der Vermeidung von Interessenkonflikten höchste Anforderungen gestellt werden.
  4. Soziologinnen und Soziologen, die um Rezensionen von Büchern oder Manuskripten gebeten werden, welche sie bereits an anderer Stelle besprochen haben, sollen diesen Umstand den Anfragenden mitteilen. Die Rezension von Arbeiten, bei deren Entstehung sie direkt oder indirekt beteiligt waren, sollten sie ablehnen.

IV. Der berufliche Umgang mit Studierenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Kolleginnen und Kollegen

  1. Soziologinnen und Soziologen, die Lehraufgaben wahrnehmen, verpflichten sich, durch Art und Ausmaß ihres Einsatzes und ihrer Ansprüche für eine gute Ausbildung der Studierenden zu sorgen.
  2. Soziologinnen und Soziologen verpflichten sich zu einer guten Betreuung von Studierenden, Promovierenden und Habilitierenden. Zur Absicherung einer hohen Betreuungsqualität wird der Abschluss und die Einhaltung von Qualifizierungsvereinbarungen zwischen den Betreuungspersonen und den sich Qualifizierenden empfohlen. Der Umfang der Arbeitszeit im Rahmen von Qualifizierungsstellen soll so geregelt werden, dass ausreichend Zeit für die Qualifikation zur Verfügung steht. Auch sollen im Rahmen der gegebenen strukturellen und finanziellen Möglichkeiten Vertragslaufzeiten an die Qualifizierungsdauer angepasst werden.
  3. Soziologinnen und Soziologen müssen sich bei Einstellungen, Entlassungen, Beurteilungen, Beförderungen, Gehaltsfestsetzungen und anderen Fragen des Anstellungsverhältnisses, bei Berufungs-, Rekrutierungs- und Kooptationsentscheidungen um Objektivität und Gerechtigkeit bemühen. Sie dürfen andere Personen nicht wegen ihres Alters, ihrer Geschlechtszugehörigkeit, ihrer körperlichen Behinderung, ihrer sozialen oder regionalen Herkunft, ihrer ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer im Rahmen des Grundgesetzes sich bewegenden politischen Einstellungen benachteiligen.
  4. Soziologinnen und Soziologen dürfen Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kolleginnen und Kollegen nicht zwingen, sich als Forschungsobjekte zur Verfügung zu stellen, oder sie über eine derartige Verwendung täuschen.
  5. Soziologinnen und Soziologen dürfen Leistungen anderer nicht ausnutzen und deren Arbeit nicht undeklariert verwerten.
  1. Soziologinnen und Soziologen dürfen von niemandem – beispielsweise von Befragten, Auftraggeberinnen und Auftraggebern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Studierenden – persönliches, sexuelles oder sonstiges Entgegenkommen verlangen.
  2. Soziologinnen und Soziologen sollen gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Kolleginnen und Kollegen dafür Sorge tragen, die Vereinbarkeit des Berufs mit der Wahrnehmung von Pflege- und Betreuungsaufgaben zu fördern.

V. Inkrafttreten

Dieser Ethik-Kodex tritt nach Verabschiedung durch die beiden Verbände am 10.06.2017 und Veröffentlichung in den jeweiligen Verbandszeitschriften in Kraft.

© Berufsverband Deutscher Soziologinnen und Soziologen e. V.  und Deutsche Gesellschaft für Soziologie

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